Islamischer Fundamentalismus, die permanente Bedrohung (Teil 3/3)
Ende Juni 2014 verstarb Professor Mordechai Abir. Er lehrte Nahost- und Islam-Studien an der Hebräischen Universität, bevor er in den Ruhestand ging. Manfred Gerstenfeld interviewte ihn vor zwanzig Jahren für sein Buch Israel’s New Future. (Das Buch wurde letztes Jahr mit einer neuen Einleitung unter dem Titel Israel’s New Future Revisited nochmals veröffentlicht.) Damals war der islamische Fundamentalismus gegenwärtig, aber nicht das große Problem, zu dem er seitdem geworden ist. In dem Interview zeigte Abir große Voraussicht dazu, wie der Fundamentalismus sich entwickeln könnte. Unten folgt der zweite Teil des Interviews. (Teil 1,Teil 2.)
Abir spricht offen von seiner Befürchtung, dass die von pazifistischen Vertretern Israels unternommenen Schritte praktisch den Weg zur Gründung eines PLO-Staats in der Westbank ebnen. Er hat wenig Zweifel, dass ein solcher Staat von Fundamentalisten und/oder sich verweigernden Nationalisten übernommen wird.
„Nehmen wir an, dass die Hamas sich aus taktischen Gründen heraushält und der von Arafat geführte Mainstream-PLO-Palästinenserstaat gegründet wird“, sagt er. „In einer zweiten Phase wird die Hamas die Macht übernehmen. Der derzeitige Trend ist, dass die Massen – besonders diejenigen, die wirtschaftlich leiden – zunehmend den Fundamentalisten folgen.
In der Tat könnte ein Palästinenserstaat ohne die riesigen Ressourcen, die nötig sind, um die Probleme seiner Bevölkerung und der Palästinenser in der Diaspora zu lösen, eine sehr schwierige Wirtschaftskrise durchmachen. Er wird von unfreundlichen arabischen Regimen und Israel umgeben sein, außer er schafft eine Art Union mit Jordanien zu bilden und erhält substanzielle Hilfe.
Darüber hinaus, stellt er fest, lebt nur die Hälfte des palästinensischen Volks in der Westbank und dem Gazastreifen, viele davon in Flüchtlingslagern. „Was wird mit den 2 bis 2,5 Millionen Palästinensern geschehen, die sich außerhalb befinden und ihre Identität bewahren?“, fragt er. „Sie leben in Lagern in fast allen arabischen Ländern oder in anderen Teilen der Welt, verschmäht von ihren arabischen Brüdern.
Für sie wird der Krieg nicht vorbei sein, da sie in den 6000 Quadratkilometern der Westbank und des Gazastreifens – wo die Bevölkerung bald die Zahl von einer Million Menschen betragen wird – keinen Platz haben werden; sie werden auf dem „Rückkehrrecht“ (awda) nach Akko, Jaffa, Aschdod und Westjerusalem bestehen. Kann Arafat solche Forderungen auffangen? Will er das ernstlich? Man kann sich den Fall des Libanon und seiner politischen Auswirkungen ansehen.
Ich kann eine solche Lösung als überhaupt nicht praktisch ansehen“, sagte er rundheraus, „außer es wird irgendeine Zauberformel gefunden das Problem mit allen Palästinensern zu lösen. Andernfalls wird der innere Druck weiter bestehen Israel zu überrennen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.“
Er sieht allerdings keine andere Alternative. „Die beste Lösung für das palästinensische Volk wäre es, wenn das haschemitische Königreich fällt“, sagte er. Jordanien, das eine mehrheitlich palästinensische Bevölkerung hat, wird ein Palästinenserstaat mit einem Ableger in der Westbank und dem Gazastreifen werden. Eine weitere, aber problematischere Alternative wäre eine jordanisch-palästinensische Föderation.
Israel muss sich um seine eigenen Interessen kümmern und daher auf Sicherheitsarrangements bestehen, die seine Existenz garantieren“, sagt er. „Ist ein Palästinenserstaat erst einmal gegründet – oder auch nur eine autonome Region – dann wird er vom internationalen Recht und internationalen Organisationen geschützt. Israels Möglichkeit seine Bevölkerung und seine Sicherheit zu schützen wird dann eingeschränkt sein.
Die jordanische Lösung wird den Palästinensern eine ausreichende territoriale Basis geben“, führt Abir fort. „Solch ein palästinensisches Jordanien könnte gemeinsame Wasserressourcen mit Israel und groß angelegte gemeinsame Entsalzungsprojekte haben. Es könnte vielfältige gemeinsame Projekte geben, von denen beide Länder profitieren.
Selbst eine jordanisch-palästinensisch-israelische Wirtschaftsföderation ist möglich“, sagt Abir. Diese könnte bedeutsame arabische und internationale Investitionen anziehen, die das Problem zu lösen helfen.
Die palästinensisch-jordanische Einheit würde eine Flagge, eine Armee und eine Luftwaffe östlich des Jordan haben“, sagt er. „Sie hätte in Aqaba einen Zugang zum Meer, was auch für den Irak von Bedeutung wäre. Es gäbe zudem einen von Israel kontrollierten Korridor in den Gazastreifen und zu anderen Mittelmeerhäfen.
Die Einheit würde einen viel höheren Bildungsstand haben als die Golfstaaten und könnte ein wichtiger Teil der Entwicklung der arabischen Länder werden und von solchen Verbindungen profitieren. Viele Joint Ventures werden bereits vorgeschlagen und viele weitere werden entstehen, wenn die Friedensverhandlungen Frucht tragen und eine jordanisch-palästinensische Einheit schaffen.“
Das Land würde, gibt Abir an, beträchtliches Einkommen aus Öl- und Gas-Pipelines erhalten, die aus Saudi-Arabien, dem Golf, dem Irak und Syrien das Land passieren. Es könnte auch ein Durchgang für Handel von Israel mit der arabischen Welt und zur Verbindungsstelle zu israelischer Technologie in verschiedenen Bereichen sein.
„Ein solches Land könnte echte wirtschaftliche Erwartungen und eine realistische politische Überlebenschance haben, ohne bald auf Krieg zurückgreifen zu müssen“, sagt Abir.
Das ist ein ziemlich rosiges Bild, aber Abir betont, dass dies nur mit einer aus dem Friedensprozess entstehenden palästinensisch-jordanischen Föderation oder wenn Jordanien eine palästinensische Heimat wird Realität werden kann. Während Fundamentalismus und andere ultra-nationalistischen Bewegungen weitermachen, bleibt er dabei, dass sie nicht die von ihnen gewollte Macht erwerben dürfen, wenn ein unabhängiger Palästinenserstaat in den Gebieten entsteht.
„Meine Meinung ist das Ergebnis des Studiums der Weltgeschichte der Muslime“, erklärt Abir. „Zu einem großen Teil ist der Erfolg des Fundamentalismus weniger Ergebnis politischer Unzufriedenheit, als eher der wirtschaftlichen Not. Die muslimische Welt erlebt Wellen steigenden Fundamentalismus. Im Islam gab es immer fundamentalistische Tendenzen und es wird sie immer geben. Die einzige Frage ist, wie mächtig sie sein werden.“
Er kehrt zum Beispiel des Iran zurück und sagt: „Paradoxerweise bot der Fundamentalismus keine Antwort auf die sozioökonomischen Probleme des Iran. Der Lebensstandard der iranischen Bevölkerung ging unter dem verstorbenen Schah zurück. Nur fünf Prozent lebten in Saus und Braus. Es überraschte nicht, dass die ungebildeten Menschen, die oft Pachtbauern waren, nach einer fundamentalistischen Lösung suchten.
Sie sind fromme Muslime. Auf die gleiche Weise generiert das Elend in Ägypten Unterstützung für militanten Fundamentalismus. Doch 14 Jahre nach der islamischen Revolution ist die Wirtschaft des Iran ein Trümmerhaufen und der Lebensstandard seiner urbanisierten Massen wie auch seiner Landbevölkerung ist noch schlechter als in der Vergangenheit und geht weiter bergab.“
Bevor Israel ein endgültiges und bindendes Abkommen mit den Palästinenser und seinen Nachbarn eingeht, drängt Abir seine Führung nicht zu vergessen, was heute den christlichen Minderheiten in „säkularen“ muslimischen Staaten geschieht. Ägypten – das er ungeachtet der christlichen Teile des Libanon als den säkularsten Staat der arabischen Welt bezeichnet – ist nicht in der Lage gewesen den Hass der fundamentalistischen Muslime auf die Kopten zu bekämpfen, die echte Überreste der ursprünglichen ägyptischen Bevölkerung sind. Die Christen im Libanon haben das Menetekel gesehen, seit es ihnen Anfang der 1980-er Jahre nicht gelang einen christlich dominierten Libanon oder ein teilunabhängiges Gebilde in ihrem Teil des Berglands des Libanon zu gründen.
Im säkularen Ägypten von heute genießen Kopten und Muslime theoretisch gleiche Rechte“, sagt er. Dennoch nimmt die Zahl der Kopten stetig ab; das ist eine Folge der weit verbreiteten, verdeckten Diskriminierung und vor allem der zunehmenden Verfolgung durch muslimische Fanatiker. „Die muslimischen Massen lehnen es ab eine Dhimmi-Gemeinschaft als gleichberechtigt zu akzeptieren“, erklärt er.
Manchmal nehmen Personen aus diesen Dhimmi-Gemeinschaften hohe Positionen in der öffentlichen Verwaltung und an anderen Stellen ein. Muslime sind ihnen unterstellt. Das ist für den Durchschnittsmuslim absolut verwerflich. Im ländlichen Ägypten, wo die Menschen ungebildet und rückständig sind, ist die Lage für den Erfolg der fundamentalistischen Propaganda gegen die Kopten noch dienlicher. Diese zunehmende sozio-religiöse Spannung in ländlichen Gegenden und Provinzstädten bricht oft in Pogrome und blutige Zusammenstöße aus, von denen die Regierung feststellt, dass sie sie kaum kontrollieren kann.
Während muslimische Fundamentalisten sich in Oberägypten, Kairo und dem Nildelta ausbreiten, wo viele Fundamentalisten leben, sind viele Kopten zu dem Schluss gekommen, dass die einzige Lösung die Auswanderung ist. Wir kennen die genauen Zahlen nicht, da dies in Ägypten ein sensibles politisches Thema ist, doch sie repräsentierten vermutlich immer 7 bis 9 Prozent der Bevölkerung Ägyptens. Es gibt ansehnliche koptische Gemeinden in New York, Chicago, Kanada und weiteren Orten in Amerika. Die libanesischen Maroniten sehen auch das Menetekel und im Verlauf der letzten 20 Jahre sind Hunderttausende nach Amerika und Europa ausgewandert.
Für Abir sind die Lektionen klar. Israels Führungspolitiker müssen sich der traurigen Realitäten des Nahen Ostens der Gegenwart und der vor uns liegenden schicksalhaften Jahre bewusst sein, warnt er, und sie müssen bemüht sein, tödliche Fehler in den Verhandlungen mit den benachbarten arabischen Staaten und den Palästinensern vermeiden. Vor allem muss Israel seine vitalen Interessen und die Fähigkeit sich zu verteidigen aufrecht erhalten.
„Wir müssen das Risiko eines PLO-Staates in den Gebieten im Auge behalten, der sich schlussendlich in einen fundamentalistischen Palästinenserstaat verwandeln könnte, der dem jüdischen Staat jegliches Existenzrech in seiner Mitte abspricht“, schließt er.