Österreichischer Antisemitismus und Antiisraelismus

Österreichischer Antisemitismus und Antiisraelismus

Manfred Gerstenfeld interviewt Anton Pelinka (direkt vom Autor)

Antisemitismus in Österreich drückt sich in klassischen Vorurteilen und außerdem verkleidet als Antizionismus aus. Die Tendenz, Juden mit Ausbeutung und rein spekulativem Kapitalismus zu identifizieren, ist immer noch in Teilen der österreichischen Gesellschaft zu beobachten – besonders bei älteren und weniger gebildeten Menschen. Perverserweise werden Juden gleichzeitig oft für alle Varianten des Kommunismus verantwortlich gemacht. Es hat allerdings seit einer Reihe von Jahren keine Berichte über antisemitische Gewalt im Land gegeben.

Die jüdische Gemeinschaft in Österreich ist klein. Sie zählt nur 10.000 Mitglieder, von denen 9.000 in Wien leben. Juden repräsentieren damit kaum ein Tausendstel der 8,5 Millionen zählenden Bevölkerung Österreichs.

Professor Anton Pelinka ist ein führender und international bekannter Politikwissenschaftler. Er ist Professor für das Studium des Nationalsozialismus und Politikwissenschaften an der Zentraleuropäischen Universität in Budapest.

Die Leute, die antisemitische Taten begehen, kommen aus verschiedenen Hintergründen. Es gibt mehrere rechtsextreme Organisationen, von denen manche Verbindungen zur weit rechts stehenden Freiheitlichen Partei haben. Ein Aspekt ihres Antisemitismus ist historischer Revisionismus, der von der Verneinung der deutschen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg bis zu seiner extremsten Form, der Holocaust-Leugnung reicht.

Ein zweites, eher kleines antisemitisches Segment sind extrem konservative Katholiken. Sie beleben alte christlich-antisemitische Stereotype neu, darunter „die Juden sind die Christusmörder“. Zu ihnen gehört die „Pius-Bruderschaft“. Eine dritte Gruppe sind weit links stehende „Antizionisten“ und Globalisierungsgegner.

Die Österreichisch-Arabische Gesellschaft ist eine offen antiisraelische Lobby. Sie hat mehrere Verbindungen zur Sozialdemokratischen Partei. Diese Organisation besteht zumeist aus linken Österreichern, die behaupten der antizionistischen Politik des verstorbenen jüdischen Kanzlers Bruno Kreisky zu folgen. Sie könnten infolge der Umbrüche in arabischen Staaten seit 2011 etwas an Einfluss verloren haben.

Österreichs derzeitige Regierung – eine Koalition aus den Sozialdemokraten und der konservativen Österreichischen Volkspartei – achtet gewöhnlich sorgfältig darauf sich auf keine Seite zu stellen, wenn es um den israelisch-arabischen Konflikt geht. Aber 2012, als die UNESCO über die Mitgliedschaft der Palästinenser entschied, stimmte Österreich dafür. Österreich stimmte auch für den „Nichtmitgliedsstaat“-Status Palästinas in der UNO-Vollversammlung.

Einige österreichische Politiker sich heftig antiisraelisch geäußert. Der extremste Fall von zweierlei Maß, der immer ein wichtiges Merkmal des Antisemitismus war, ereignete sich im Frühjahr 2010. Damals kritisierte der gesamte Wiener Stadtrat – der aus Sozialdemokraten, Freiheitlichen, ÖVP und den Grünen besteht – Israels Angriff auf die Mavi Marmara, das türkische Schiff in der Gaza-Flottille. Syrien hat der Rat jedoch nie verurteilt.

Ein weiteres Beispiel gab es im Mai 2012, als der Sozialdemokrat Norbert Darabos – damals noch Verteidigungsminister – sagte, Avigdor Lieberman sei als israelischer Minister „untragbar“. Diese konzentrierte Diskriminierung war ein typisches Beispiel latenter antiisraelischer Einseitigkeit in allen Parteien Österreichs. Von Darabos gibt es keine Aufzeichnung kritischer Äußerungen über irgendeinen anderen Außenminister.

Die Kronenzeitung, Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung, nimmt eine sehr ambivalente Haltung ein: Die Zeitung ist moderat pro-israelisch, spielt aber auch Beispiele weit rechten und Neonazi-Extremismus herunter. Die zweitgrößte landesweite Zeitung, der Kurier, ist traditionell pro-israelisch und auch weit kritischer zu Aspekten der Nazivergangenheit Österreichs. Die führenden „Qualitäts“-Zeitungen Die Presse und Der Standard sind zumeist unparteiisch, wenn es um Israel geht. Der Standard kritisiert Fehltritte der österreichischen Behörden im Umgang mit Neonazi-Gruppen. Ihr Journalist Hans Rauscher und die WochenzeitungProfil stellen regelmäßig Antisemitismus bloß.

Die österreichischen Medien sind sehr sprunghaft. Sie benutzen oft einen bestimmten Politiker wie den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu für allgemeineres Israel-Bashing. Israels Politik wird auf schärfere Weise kritisiert, als wenn Länder wie Frankreich, Ägypten, Österreich oder der Iran für dieselbe Politik verantwortlich sind. Derartiges zweierlei Maß ist auf viele Weise offenkundig. Wenn z.B. ein arabisches Kind im Gazastreifen von einem israelischen Soldaten getötet wird, gibt es einen Aufschrei. Es gibt aber keine Missbilligung, wenn tagtäglich Hunderte Araber in Syrien von anderen Arabern getötet werden.

Es gibt aber auch Gruppen, die Antizionismus bekämpfen. Eine ist „Café Critique“, die hauptsächlich aus jungen Intellektuellen besteht. Sie kritisieren antiisraelische Einseitigkeit, z.B. wenn die existenzielle Notwendigkeit der Selbstverteidigung Israels ignoriert wird. Sie gehen auch gegen Antisemitismus in der muslimischen Welt vor, insbesondere gegen den im Iran.

Die Zahl der Muslime nähert sich der halben Million. Die meisten leben in Wien und in geringerem Maß in kleineren Industriestädten im westlichen Österreich. Sie sind zumeist Einwanderer der ersten und zweiten Generation und gehören zu wirtschaftlich schwächeren Teilen der Gesellschaft. Viele Muslime mit türkischem oder bosnischem Hintergrund sind säkular. Es gibt eine fundamentalistische Minderheit wie auch eine kleine Gruppe Konvertiten vom Christentum. Zu diesen gehören extreme Fundamentalisten mit Verbindungen zu talibanartigen Gruppen in Pakistan.

Pelinka schließt: Es wäre ratsam, wenn Israel junge Politiker aus den großen österreichischen Parteien – mit Ausnahme der Freiheitlichen Partei – zu Besuchen einlädt. Sie sollten es nicht nur als Land der Holocaust-Überlebenden sehen, sondern auch als komplexe und multikulturelle Demokratie.“

 

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