Jüdisch und vorsichtig in Amsterdam

Jüdisch und vorsichtig in Amsterdam

Manfred Gerstenfeld interviewt Carla (direkt vom Autor)

In dem Amsterdamer Krankenhaus, in dem ich bis vor kurzem als Pflegerin arbeitete, wurden Bemerkungen wie diese über Juden fallen gelassen: „Ihr Juden habt überall Bekannte.“ Oder: „Ihr Juden seid reich.“ Als ich öffentlich meine jüdischen Überzeugungen zum Ausdruck brachte, wurde ich von vielen als „stereotyp jüdisch“ angesehen.

Ich arbeitete mehr als zehn Jahre an diesem Krankenhaus. Meine Arbeitskollegen wussten, dass mein Sohn in der israelischen Armee gedient hatte. Ich hörte manchmal Sprüche wie: „Da töten sie nur Palästinenser.“ Auch Ärzte und Psychologen sagten das oft. Der Leiter einer medizinischen Abteilung diskutierte regelmäßig und beiläufig „das Leiden der Palästinenser“. Er griff mich immer direkt an, wenn etwas zur israelischen Politik veröffentlicht wurde.

Carla ist mehrere Jahrzehnte Krankenpflegerin gewesen. Angesichts der heutigen Lage in den Niederlanden bat sie für dieses Interview um ein Pseudonym.

Wann immer die niederländischen Medien etwas über Israel schrieben, begannen mehrere Leute mit mir Politisches zu diskutieren. Sie verhielten sich, als würde ich die israelische Politik machen. Niemand würde je jemandem mit Familie in Italien sagen: „Was für etwas Irres hat Berlusconi gerade getan?“

Vor Wahlen fragten mich Menschen, für wen ich stimme. Ich antwortete: „Ich stimme für eine Partei, die Israel unterstützt. Es gibt nicht viele Parteien, die das tun, daher sollten Juden sie unterstützen.“ Ihre Antwort war: „Es gibt weit wichtigere Themen.“ Sie sagten das, während eine beträchtliche Anzahl Niederländer entsprechend eines Parteiprogramms abstimmten, das sich mit Tierschutz befasst.

In den meisten Fällen vermied ich es auf Diskussionen einzugehen. Es macht keinen Sinn mit „normalen Niederländern“ zu diskutieren. Es gibt viele Beispiele für ihre Einstellung. Vor ein paar Jahren besuchte ich mit zwei Kollegen Israel. Ein Abteilungsleiter bemerkte ihnen gegenüber: „Warum geht ihr da hin? Das ist kein Land, in dem man Urlaub macht.“ Er würde das nie über Thailand oder Indonesien sagen. Aber zu Israel und Juden geht alles.

Manchmal habe ich von dieser Haltung die Nase voll. Weil ich nicht immer passiv bleiben wollte, ergriff ich die Initiative. Nach der Affäre mit der Gaza-Flottille zeigte ich ihm im Internet Bilder von Steinschleudern, Messern usw. die auf dem Schiff gefunden wurden. Die Reaktion des Abteilungsleiters war, dass dies normal sei. Er billigte alles, was Israels Feinde taten, so absurd das auch sein mochte.

Auf der Arbeit sagte ich oft, was ich dachte. Ich weiß nicht, ob das mir beruflich schadete. Man kann das nie beweisen. Manchmal ließ ich Dinge einfach unkommentiert, weil ich mich in der Diskussion allein fühlte. Man denkt: „Ich muss weiter mit diesen Leuten arbeiten, also sollte ich vorsichtiger sein.“

Als Jude muss man in den Niederlanden heute vorsichtig sein, was man sagt. In meinem Umfeld sehe ich klar, dass Juden die Außenseiter sind. Würde ich sagen: „Ich könnte nach Israel ziehen, wenn meine Kinder dort bleiben“, dann müsste ich einen feinfühligen Weg finden das zu sagen. Jeder ist dir von Angesicht zu Angesicht gegenüber nett. Ein Niederländer wird selten laut „dreckiger Jude“ zu dir sagen. Doch man weiß nicht, was hinter dem eigenen Rücken gesagt wird. Es gibt in den Niederlanden auch beträchtliche Diskriminierung von Homosexuellen und nicht westlichen Immigranten. Man sollte aber scheinheilige Niederländer damit nicht konfrontieren.

Viele marokkanische, türkische und andere Immigranten-Patienten kamen in unser Krankenhaus. Ich habe immer sorgfältig darauf geachtet meine Religion vor ihnen zu verbergen. Muslimische Frauen tragen Kopftücher. Sie stellen ihre Religion auf diese Weise zur Schau; oder indem sie sagen, dass sie den Ramadan einhalten. Als Jude in den Niederlanden mache ich genau das Gegenteil. Im Allgemeinen wissen die Patienten nicht, dass ich Jüdin bin. Man sieht es mir nicht an. Manchmal trug ich einen kleinen Davidstern. Es hing von der Stimmung ab, in der ich mich befand.

Wenn Muslime entdecken, dass du Jude bist, reagieren manche rassistisch. Ein Marokkaner, dessen Kind ich versorgte, ging zu seinem Hausarzt. Der Vater sagte, er wolle nicht, dass sein Kind von einer jüdischen Krankenpflegerin behandelt wird. Also schickte ihn sein Arzt in ein anderes Krankenhaus. Ich fand die Reaktion dieses Arztes sehr problematisch.

Ich erwähnte diese Erfahrung mit dem marokkanischen Vater gegenüber meinem Team, zu dem auch zwei Ärzte und ein Psychologe gehörten. Ich sagte ihnen: „Es ist eines, wenn dieser Vater das tut. Aber dass der Arzt dem nachgab, ist etwas völlig anderes.“ Meine Kollegen lachten mich aus. Danach hatte ich das Gefühl, ich müsste diesen Leuten gegenüber vorsichtiger sein.

Ich berichtete den Fall mit dem marokkanischen Vater und der Reaktion seines Arztes bei CIDI, einer niederländischen Organisation, die sich mit Antisemitismus beschäftigt. Sie sagte, sie würden einen Brief an medizinische Zeitschriften schicken. Ich habe von ihnen nichts weiter gehört.

Inzwischen habe ich einen anderen Arbeitsplatz bekommen. Ich spreche dort nicht über meine Religion und gebe nur minimale Informationen zu meinem Hintergrund. Für Juden in den Niederlanden ist es zunehmend schwierig geworden unsere Religion offen zu zeigen. Es gibt dabei mehrere Faktoren: die Zunahme der muslimischen Bevölkerung, der Rechtsruck in der Gesellschaft und zunehmende Intoleranz in der Niederlanden. Weitere Faktoren sind die Verschlechterung an geschichtlichem Wissen und die Aushöhlung niederländischer Normen und Werte.

 

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