Israelische Realitäten, niederländische Realitäten – ein Vergleich

Israelische Realitäten, niederländische Realitäten – ein Vergleich

Manfred Gerstenfeld interviewt Ayaan Hirsi Ali (direkt vom Autor)

Im vergangenen Jahrzehnt wurde Ayaan Hirsi Ali weltweit als Sachbuch-Autorin bekannt. 2006 verlieh ihr Reader’s Digest die Auszeichnung European of the Yearund sagte, sie verkörperte die zeitgenössischen Werte Europas am besten. Hirsi Ali wurde 1969 in Somalia geboren und erhielt 1992 in den Niederlanden Asyl. Diese verließ sie im Frühjahr 2006 in Richtung USA, nachdem sie von ihrem Abgeordnetenmandat im niederländischen Parlament zurücktreten musste; der Grund war eine ministerielle Entscheidung, dass sie nie die niederländische Staatsbürgerschaft erhalten habe.

Hirsi Ali sagte, sie besuchte Israel vor einigen Jahren in erster Linie, um zu verstehen, wie es so gut mit so vielen Immigranten so unterschiedlicher Herkunft klar kommt. „Mein Haupteindruck war, dass Israel eine liberale Demokratie ist. An den Orten, die ich besuchte – darunter Jerusalem wie auch Tel Aviv und seine Strände – sah ich, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Man weiß nicht, was hinter den Kulissen passiert, aber so erscheint es dem Besucher. Die vielen Frauen in der Armee sind ebenfalls sehr präsent.

Ich begriff, dass der einigenden Faktor unter den Einwanderern nach Israel ein entscheidendes Element des Erfolgs ist. Ob jemand aus Äthiopien oder Russland kommt oder die Großeltern aus Europa einwanderten: Was sie zusammen hält ist, dass sie jüdisch sind. Ein solches Band fehlt in den Niederlanden. Der Hintergrund der Einwanderer dort ist vielfältig und unterscheidet sich auch noch stark von den Niederlanden, einschließlich der Religion.

Ich habe auch die palästinensischen Viertel in Jerusalem besucht. Ihre Seite ist heruntergekommen, wofür sie die Israelis verantwortlich machen. Ich traf aber einen jungen Palästinenser unter vier Augen, der ein ausgezeichnetes Englisch sprach. Ohne Kameras und ohne Notizblöcke. Er sagte, die Lage sei teilweise ihnen selbst anzulasten, da viel von dem aus dem Ausland kommenden Geld für den Aufbau Palästinas von korrupten Führern gestohlen wird.

Als ich in den Niederlanden über die Korruption der palästinensischen Autonomiebehörde und die Rolle Arafats bei der Tragödie Palästinas zu sprechen begann, hatte ich keine große Zuhörerschaft. Oft sprach man gegen eine Wand. Viele Menschen antworteten, Israel müsse erst aus den Gebieten abziehen, dann werde mit Palästina alles gut.

Bevor ich der Liberalen Partei der Niederlande beitrat, war ich Mitglied der Arbeiterpartei. Ihr großes Denkervorbild ist der israelische Philosoph Avishai Margalit, der für Solidarität mit den Schwachen wirbt. Aus sozialistischer Sicht ist jeder, der nicht weiß oder westlich ist, ein Opfer und das schließt Muslime, Palästinenser und Einwanderer ein. Meine Position ist: Ich bin kein Opfer; ich bin für mein Handeln ebenso verantwortlich wie jeder andere und das gilt für alle Menschen.

Ich studierte in den Niederlanden ein Jahr lang Sozialarbeit. Unsere Dozenten lehrten uns den Einwanderer und den Ausländer mit anderen Augen zu betrachten. Sie glaubten, Rassismus sei ein Phänomen, das es nur unter Weißen gibt. Aber meine Familie in Somalia erzog mich als Rassistin und sagte mir, dass wir Muslime den christlichen Kenianern überlegen seien. Meine Mutter glaubt, das seien Halbaffen.

Als ich das zu erklären begann, antwortete der Dozent, das sei „nicht wahr und unmöglich“. Ich sagte: „Doch, es ist wahr.“ Ich führte an, dass ich im Zentrum der Asylbewerber in der Stadt Ede lebte und dass die Somalis, die ich dort kannte, von den einheimischen Niederländern als nicht beschnitten, nicht religiös und dreckig redeten.

Wenn ein Niederländer sagt, er wolle keinen Marokkaner oder Türken zum Nachbarn, dann ist er ein Rassist. Wenn ein Marokkaner sagt: „Ich will neben anderen Marokkanern leben“, dann wird das als Zeichen der Gruppenzugehörigkeit betrachtet, weil er durch die Einwanderung isoliert worden ist. Das wird also nicht als Rassismus betrachtet. Wenn ein rechtsgerichteter Skinhead auf einem jüdischen Friedhof Hakenkreuze malt, dann ist das Nazitum und er wird bestraft. Macht ein Marokkaner dasselbe, dann ist das Ausdruck seiner Unzufriedenheit mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Ein Individuum als ewiges Opfer zu definieren, ist ein fundamentaler Fehler. Farbige, Muslime und andere nicht westliche Einwanderer sind keine Opfer. Sie sind Individuen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in die Niederlande gekommen sind. Es liegt in meiner Verantwortung mein Leben zu verbessern und ich fordere nicht von den Behörden, dass sie das für mich zu tun. Ich bitte nur darum in einem Umfeld von Frieden und Sicherheit zu leben. Die sozialistische Weltsicht ist anders. Diejenigen, die nicht weiß und christlich sind und die die Vorstellungen christlicher Zivilisation nicht teilen, sind per Definition Opfer.

Es ist schon paradox, dass diese Haltung zum Teil dem Holocaust entstammt, der in den Niederlanden große Schuldgefühle schuf. Manche glauben, das Verhalten ihrer Landsleute gegenüber den Juden während des Krieges ist etwas, das sich nie wiederholen sollte. Also kompensieren sie das, indem sie erlauben, dass Muslime ihre Ehefrauen schlagen und ein paar andere Homosexuelle verprügeln oder das Legen von Bomben vorbereiten. Eine solche Haltung spiegelt Geisteskrankheit wider.“

Dies ist eine gekürzte Version eines Interviews, das in niederländischer Sprache in Manfred Gerstenfelds Bestsellers erschien: „Het Verval, Joden in een stuurloos Nederland“ (Der Niedergang: Juden in den führungslosen Niederlanden. 2010)

 

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